Der 11. Deutsche Allergiekongress fand dieses Jahr vom 29.09.-01.10.2016 in Berlin statt. Wissenschaftler und Experten präsentierten in verschiedenen Vortragsveranstaltungen neue Erkenntnisse und Konzepte rund um das Thema „Allergie“. Sabine Schnadt vom Deutschen Allergie- u. Asthmabund (DAAB) in Mönchengladbach gab einen Überblick zum Thema „Lebensmittelallergie und Anaphylaxie in Kita und Schule“ und stellte Ergebnisse eines Projektes vor, bei dem Eltern und Ministerien zur Versorgung anaphylaxiegefährdeter Kinder in Kita und Schule befragt wurden.
„Oft prallen unterschiedlichste Standpunkte und Bedürfnisse aufeinander“, beschrieb Sabine Schnadt die Ausgangslage. Eltern würden sich um ihr Kind sorgen und hätten den Wunsch nach Sicherheit (Vermeiden einer allergischen Reaktion, schnelle Hilfe im Notfall). Außerdem möchten sie nicht, dass ihr Kind aufgrund der Allergie in der Schule oder im Kindergarten ausgegrenzt wird. ErzieherInnen/Lehrkräfte hätten hingegen die Verantwortung für viele Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen und möchten möglichst allen Kindern gerecht werden. Hinzu komme die mitunter vorhandene Angst vor rechtlichen Konsequenzen bei der Gabe von Medikamenten. Und nicht zuletzt das Kind selbst: je nach Alter hat es unterschiedliche Bedürfnisse. Sabine Schnadt: „Kinder wollen normal sein, die Allergie steht nicht im Vordergrund, sie wollen keinen Sonderstatus und keine Ausgrenzung“.
Angst und Unsicherheit als Stolpersteine
Die größten Stolpersteine in der Betreuung und Versorgung anaphylaxiegefährdeter Kinder seien Unsicherheit und Angst. Eltern berichten, so Sabine Schnadt, dass oft das Wissen um Risiken durch Allergien bei Betreuern nicht vorhanden ist und das Anaphylaxierisiko nicht ernst genommen werde. Außerdem dürften Notfallmedikamente nicht durch Lehrer/Erzieher verabreicht und Medikamente nicht mit in die Einrichtung genommen werden. Eine Schulung der Lehrer/Erzieher sei nicht möglich (mangelndes Angebot, Kosten, Zeit, Bereitschaft zur Teilnahme). Häufig hapert es auch am Dialog und der Aufklärung. Eltern dürften Essen nicht mitbringen bzw. es darf nicht erwärmt werden. Kinder mit Lebensmittelallergien müssten isoliert essen oder nur unter Anwesenheit einer sogenannten Integrationskraft (stundenweise Beschränkung). Im schlimmsten Fall komme es zur eingeschränkten Teilnahme bis hin zum Ausschluss allergischer Kinder von Essen, Veranstaltungen wie Basteln/Kochen, Backen/Projekten/Ausflügen/Übernachtungstreffen, Kita- und Klassenfahrten.
DAAB-Projekt
Die rechtliche Ausgangslage schafft wenig Klarheit: Es gibt kein bundesweit geltendes Kita-Gesetz. Bundesländer haben unterschiedliche Gesetze/Rahmenbedingungen und i.d.R. gilt die Trägerhoheit. Für die Schulen gelten gemeinsame Rahmenbedingungen, aber die Durchführung, Aufsicht und Gestaltung des Schulwesens liegen jeweils in der Verantwortung der 16 Bundesländer.
Am DAAB-Projekt „Versorgung anaphylaxiegefährdeter Kinder in Kindertagesstätten und Schulen“ (mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse) nahmen mit Blick auf die Kitas 14 von 16 Familienministerien (keine Teilnahme von Bremen und Niedersachsen) teil, bei den Schulen waren es alle 16 Kultus-/Schulministerien.
Oft keine verbindliche Regelung zur Essensverpflegung
Die Ergebnisse der Befragung zeigen ein bundesweit uneinheitliches Bild: Nur in wenigen Bundesländer wurden die Ministerien bisher zum Thema „Anaphylaxiemanagement“ kontaktiert. In Bayern, Brandenburg, Hamburg und Sachsen-Anhalt sind Ministerien bereits von Eltern bzw. Kitas angeschrieben worden. Die restlichen Ministerien bekamen entweder keine Anfragen oder machten keine Angaben dazu. Bei den Anfragen von Schulen sieht es ähnlich aus: Bremen, Hamburg, NRW und Saarland erhielten Anfragen von Eltern und/oder Schulen. Die restlichen Ministerien erhielten keine Anfragen oder machten keine Angaben.
In den meisten Bundesländern gibt es keine verbindliche Regelung zur Essensverpflegung in Kitas bzw. Schulverpflegung in Schulen (Kitas: Ja: Mecklenburg-Vorpommern, Saarland /Nein: 11), (Schulen: Ja: Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland/Nein: 11). Bei den rechtlichen Regelungen zur Medikamentengabe sieht es ähnlich aus. Nur in Hamburger Kitas gibt es solche. Mit Ausnahme von Berlin und Bremen haben 13 Bundesländer entsprechende Regelungen für ihre Schulen getroffen, 8-mal (Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen) wird dort der allergische Notfall explizit erwähnt. Wird der Adrenalin-Autoinjektor (AAI) als Erste-Hilfe-Maßnahme eingestuft? Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt beantworteten diese Frage für ihre Kitas mit „Ja“, Mecklenburg-Vorpommern mit „Nein“. Für die Schulen ergibt sich folgendes Bild: Mit „Ja“ antworteten Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, mit „Nein“ Bayern, Bremen und NRW.
Best-Practice Beispiel Hamburg
Während es in einigen Bundesländern noch Verbesserungsbedarf in der Versorgung und Betreuung anaphylaxiegefährdeter Kinder gibt, kann Hamburg mit einem Vorzeigemodell punkten. Hier wurden bereits Ministerien durch Eltern und Kitas zum Thema Anaphylaxie kontaktiert. Es gibt konkrete Ansprechpartner: Für Kitas sind dies die Trägerberatung (mit Verweis an den jugendpsychiatrischen Dienst), Gesundheitsämter, Kinderärzte sowie die Unfallkasse Nord. Schulen steht das „Bildungs- und Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit“ zur Verfügung. In Kitas empfohlen, in Schulen verpflichtend ist die Verpflegung gemäß DGE-Qualitätsstandard. Hamburg verfügt (im Kitabereich als einziges Bundesland) über eine rechtliche Regelung zur Medikamentengabe. Der AAI wird als Erste-Hilfe-Maßnahme eingestuft. Bei grundsätzlicher Weigerung wird von unterlassener Hilfeleistung ausgegangen.
Länderübergreifende Gemeinsamkeiten
Allen Bundesländern gemein ist die Tatsache, dass die Verantwortung für die Medikamente bei den Eltern liegt. Das betrifft die Lagerung und das Mindesthaltbarkeitsdatum. Zudem müssen klare, i.d.R. schriftliche Vereinbarungen zwischen Eltern und Kita/Schule bzgl. der Medikamente getroffen werden. „Kinder, Schülerinnen und Schüler sowie ErzieherInnen/angestellte Lehrkräfte stehen bei der Medikamentengabe unter dem Schutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV)“, betonte Sabine Schnadt.
Und was fällt in die Zuständigkeit der Schule? Regelmäßig mit dem Kind in Kontakt stehende Lehrkräfte müssen informiert sein und sollten Symptome einer anaphylaktischen Reaktion erkennen können. Es sollte Personal benannt werden, das in der Gabe der Notfallmedikamente geschult ist. „Maßnahmen des Notfallmanagements müssen anhand des Anaphylaxie-Notfallplans eingeübt werden, bevor es zu einer allergischen Reaktion kommt“, erklärte Sabine Schnadt. Das Notfallset muss an einem geeigneten Ort aufbewahrt werden. Schülern sollte – je nach Alter –erlaubt werden, Medikamente bei sich zu tragen. Gemeinsames Ziel müsse es sein, an einer Eliminierung der Allergieauslöser zu arbeiten (in den Mahlzeiten sowie in den Gegenständen, die während des Unterrichts oder in Projekten Verwendung finden); Ausflüge und Klassenfahrten sollten mit den Eltern abgestimmt werden. Ganz wichtig: Kinder mit Lebensmittelallergien müssen in die Gemeinschaft integriert und Mobbingsituationen rechtzeitig erkannt und geklärt werden.
Fazit
Es gibt noch viel zu tun. Während einige Bundesländer (insbesondere Hamburg) sich mit guten Ansätzen der Thematik stellen, hinken andere Länder hinterher. Im Sinne betroffener Kinder sollte hier zügig nachgebessert werden. Die Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V. bietet umfangreiches Trainings- und Schulungsmaterial.
Weitere Informationen:
Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V.: http://www.anaphylaxieschulung.de/Sites/Fachpersonalinformation.html
Quelle
AllergoCompact (DAAB Symposium), Zwischen Ausschluss und Inklusion – Lebensmittelallergie und Anaphylaxie in Kita und Schule, 30. September 2016 (11. Deutscher Allergiekongress (DAK), 29. 09.- 01. 10. 2016, Berlin)